Netzwerk zur Beratung und konkreten Hilfe bei übermäßiger  Mediennutzung
 

Pressemitteilungen

Pressemitteilung

Nr. 01/2013 

LMK und Ambulanz für Spielsucht der Uniklinik Mainz stellen Projektergebnisse „EU NET ADB“ vor:
Internetnutzung und problematisches Verhalten bei Kindern und Jugendlichen in Europa

Berlin, 17. Januar 2013

Die Landeszentrale für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz und die Ambulanz für Spielsucht der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz stellten heute in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin die Abschlussergebnisse des zweijährigen EU-Projektes „EU NET ADB“ (EU Net Addictive Behaviour) zum Thema Internetnutzung und problematisches Verhalten bei Kindern und Jugendlichen vor. Erstmals wurden im Rahmen des von der EU geförderten Projektes in sieben Staaten – Deutschland, Griechenland, Island, Spanien, Polen, Rumänien und den Niederlanden – quantitative und qualitative Daten über das Internetverhalten von 14- bis 17-jährigen Jungen und Mädchen erhoben und ausgewertet.

„Seit einiger Zeit gibt es eine öffentliche Diskussion über die problematische, exzessive Nutzung von Internet oder Computerspielen, die in eine regelrechte Abhängigkeit münden kann“, erklärte LMK-Direktorin Renate Pepper in ihrer Begrüßung. „Aber offenbar gibt es eine gewisse Uneinigkeit, Unsicherheit, wann genau man von Internetsucht spricht. Besuche in Sozialen Netzwerken und Chatforen, Computerspiele und Online-Einkäufe sind ja keineswegs per se gefährlich, sondern können den Alltag entlasten. Aber was ist, wenn das Ausmaß dieser Besuche exzessiv ansteigt? In welchen Fällen kann man von Suchtverhalten sprechen? Insofern freue ich mich als Vertreterin und Koordinatorin zahlreicher EU-Projekte zu Themen rund um die Sicherheit im Netz, dass wir mit dieser umfangreichen Erhebung und Auswertung von jugendlichem Internetverhalten erstmals klare und konkrete Ergebnisse haben.“  

„Es ist beeindruckend, wie vielfältig und kreativ das Internet von Jugendlichen in Europa genutzt wird“, machte Michael Dreier von der Ambulanz für Spielesucht der Uniklinik Mainz deutlich. „Gleichzeitig ist es alarmierend, dass 13,9% der 14-17 Jährigen in Europa ein problematisches bis abhängiges Internetnutzungsverhalten aufweisen. Bei den Jugendlichen in Deutschland beträgt die Prävalenz für ein internetabhängiges Verhalten 0,9%. Es muss jedoch kritisch betrachtet werden, dass 9,7% dieser Altersgruppe das Internet problematisch nutzen. Zur Unterstützung von Eltern, engagierten Lehrern und den Jugendlichen selbst, haben wir das „Modell der Vier“ entwickelt, um erste Anhaltspunkte für die Klassifikation des Internetnutzungsverhaltens bieten zu können.“

Klare Aussagen zum Internetsuchtverhalten (IAB) in Europa lassen sich anhand der Projektergebnisse schlagwortartig wie folgt zusammenführen:


  • Internetsucht unter Jugendlichen in Europa ist kein seltenes Phänomen (1,2% Betroffene, gefährdet: 12,7%) 
  • Internetsucht kommt insbesondere unter intensiven Nutzern von sozialen Netzwerken und Online-Computerspielen vor 
  • Es konnte kein klarer Zusammenhang mit dem Bildungsgrad oder der beruflichen Situation der Eltern und dem Auftreten von Computerspielsucht nachgewiesen werden 
  • Selbstregulation und eine Motivation zur Nutzungsmusteränderung sind protektiver Faktoren für den Schutz vor problematischem bis abhängigem Internetnutzungsverhalten bei Jugendlichen
  • Kinder mit Computerspielsucht kommen häufiger aus Scheidungsfamilien 23.0% (Broken-Home-Kontext) verglichen mit 14.7% der unauffälligen Spielnutzer
  • Internetsüchtige Jugendliche weisen in sozialer Kompetenz, akademischer Leistung und Freizeitgestaltung/ Freizeitaktivitäten ausgeprägte Defizite auf 
  • Internetsüchtige Jugendliche weisen eine hohe psychische Symptombelastung, z.B. bei Ängstlichkeit / Depressivität, aggressivem Verhalten, sozialen Problemen, Aufmerksamkeitsproblemen, dissozialem Verhalten, sozialem Rückzug und körperlichen Beschwerden auf 
  • Mit dem empirisch abgeleiteten „Modell der Vier“ können Nutzer mit problematischem bis abhängigem Internetnutzungsverhalten erkannt werden. Diese Anhaltspunkte stehen für die Beurteilung einen möglichen (problematischen) Verlauf des individuellen Nutzungsmusters zur Verfügung. Das „Modell der Vier“ unterscheidet hier die Typen „Stuck Online“, „Juggling it all“, „Coming full cycle“ und „Killing boredom“.
  • In Spanien, Rumänien und Polen sind höhere Prävalenzen von Dysfunktionalem Internetverhalten (DIB), d.h. Internetsuchtverhalten bzw. Risiko für Internetsuchtverhalten, festzustellen, während in Deutschland und Island sich die geringsten Raten finden
  • Das psychologische Wohlbefinden ist bei DIB geringer.


Generell ist festzustellen, dass die Nutzung von Glücksspielen, Sozialen Netzwerken und Computerspielen eng mit einem Dysfunktionalen Internetverhalten (DIB) verbunden ist, während das Ansehen von Videos und Filmen weniger mit einem DIB zusammenhängt. Hausaufgaben machen und Recherchieren sind keinesfalls mit einem problematischen Internetverhalten verbunden. Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen nutzt das Internet zu Recherchezwecken für Hausaufgaben, was klar als funktionales Verhalten verstanden werden kann.

Jugendliche fühlen sich entwicklungsbedingt besonders zum Internet hingezogen, denn hier kann eine grundlegender Wissensdurst, eine gesunde Neugier, aber auch eine gewisse Unbeschwertheit befriedigt werden. Die Selbstständigkeit im Netz ist durchaus positiv zu sehen, allerdings zeigen die Ergebnisse klar, dass Jugendliche mit unterentwickelten sozialen Kompetenzen online einen eindeutig höheren Grad an Selbstbestätigung erfahren und gerade dadurch gefährdeter für die Entwicklung eines dysfunktionalen Internetverhaltens sind.

Ziel des Projektes war es, die Intensität, die Determinanten und Entwicklungslinien von Internetverhalten in Europa zu untersuchen. Durch die Gegenüberstellung nationaler und regionaler Einzeluntersuchungen konnten erstmals auch die soziodemographischen und kulturellen Unterschiede in der Entwicklung von Internetsuchtverhalten herausgearbeitet werden. Die quantitative Untersuchung sah eine Befragung von insgesamt 13.248 Schülern in den sieben genannten EU-Staaten vor. In Deutschland wurde die schriftliche Repräsentativbefragung von 2.000 Schülern im Alter von 14-17 Jahren mittels standardisierter Testvorlagen von der LMK mit der Expertise des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (mpfs) verantwortet. Im Rahmen des qualitativen Studienteils wurden in jedem teilnehmenden Land bis zu 20 Jugendliche, bei denen konkret Internetsuchtverhalten festgestellt wurde, in den insgesamt 124 Interviews von qualifizierten Psychologen befragt. In Deutschland wurde dieser Anteil von der Ambulanz für Spielsucht der Uniklinik Mainz durchgeführt. Gleichzeitig war die Ambulanz für Spielsucht mit der Gesamt-Koordination des qualitativen Studienteils betraut.

Detaillierte Informationen finden Sie unter www.eunetadb.eu

Kontakt:
Dr. Joachim Kind 
LMK-Pressesprecher
Sprecher EU-Safer Internet Centre Germany
Büro. 0621/5202-206, Mobil. 0177/5213100
E-Mail: kind@lmk-online.de






Die neue Suchtgefahr:

Wie Gaming und Gambling verschmelzen

14.11.2012

Der Fachverband Medienabhängigkeit e.V. nimmt Stellung zu neuen Formen von Geldeinsätzen in Multiplayer-Onlinespielen und warnt vor der gefährlichen Vermischung von Videogames und Glücksspiel 

Wer kennt ihn nicht, den „Traum vom schnellen Geld“. Nun erreicht dieser „Traum“ auch in der virtuellen Welt eine neue Dimension. Das Angebot an Onlineglücksspielen, wie Onlinesportwetten oder Online-Poker, hat - trotz der Illegalität diverser Angebote - in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Dies führte zu einem Anstieg an Anfragen von Glücksspielsüchtigen in den Suchtberatungsstellen und Ambulanzen. Einer Studie der Ambulanz für Spielsucht von der Universität Mainz zufolge melden sich dabei immer häufiger junge Betroffene.

Seit Neuestem kann man mit ausreichend schnellen Fingern nun auch beim Zocken von Multiplayer-Onlinespielen selber Geld verdienen – oder verlieren. Für das Spiel um Geld ist man nun nicht mehr auf die Angebote von Online-Glücksspielen angewiesen, sondern kann auch u.a. bei der neuesten Version von FIFA mit anderen um Geld spielen oder an Turnieren mit Geldeinsätzen oder -gewinnen teilnehmen.

Die FIFA-Serie als ein Beispiel, ist als äußerst populäres Fußballgame von Electronic Arts (EA) seit Jahren ein Verkaufshit. Die neueste Version FIFA 13 wurde in Deutschland innerhalb der ersten Woche ca. 500.000 Mal für die PlayStation 3 und ca. 100.000 Mal für die X-Box 360 verkauft. Laut einer jährlichen Befragung des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest zur Mediennutzung erfreut sich dieses Spiel einer besonderen Beliebtheit unter Kindern und Jugendlichen und ist mit einer Altersfreigabe von 0 Jahren (USK) gekennzeichnet.

Mit großer Besorgnis stellt der Fachverband Medienabhängigkeit e.V. daher fest, dass unter anderem der Hersteller EA mit FIFA 13 das Spielen um Geld im Internet unterstützt und direkt aus dem Konsolenspiel heraus auf die virtuelle Plattform „VirginGaming“ verweist. Auf diesem ab 18 Jahre zugänglichen Internetportal geht es nicht mehr nur um den Wettbewerb,

sondern vor allem um Geldeinsätze und –gewinne. Natürlich weisen die

Anbieter darauf hin, dass diese Möglichkeiten nur volljährigen Personen zur Verfügung stehen. Gleichzeitig werden Geldeinsätze in Spielen angeboten, die vor allem bei Jugendlichen hoch im Kurs stehen, wie eben gerade das beliebte Fußballspiel FIFA oder der Shooter Battlefield.

Virtuelle Alterskontrollen sind derzeit bekanntermaßen kein hinreichender Jugendschutz – das wissen wir aus den Bereichen Glücksspiel und Pornografie bereits seit langem. Eine Anmeldung mit gefälschten Daten scheint durchaus möglich. So existieren im Internet bereits Blogs von Jugendlichen zur Umgehung der Altersbeschränkung.

Die EA Sports Arena auf „VirginGaming“ hat nach eigenen Angaben seit dem 27.09.2012 allein für das Spiel FIFA 13 ca. 500.000 Anmeldungen generiert und rund 10 Millionen Dollar an Gewinnen ausgeschüttet.

Das heißt auch: Weltweit haben Gamer mindestens 10 Millionen Dollar in dieser kurzen Zeit bei FIFA 13 verspielt!

Für diese Plattform kooperieren Firmen wie EA, Sony, Microsoft, Ubisoft und NOS (Hardware, Software, Werbung) miteinander, die gemeinsam die absolute Weltspitze an Marktanteilen repräsentieren. Der gefährlichen Suchtdynamik, welche durch die Verschmelzung von Gaming und Gambling entsteht, scheinen sich die Anbieter dabei durchaus bewusst zu sein. Entsprechend verweisen Sie unter der Rubrik „Reponsible Gaming“ auf einen Selbsttest und Hilfsangebote für Glücksspielsüchtige, z.B. „Gamblers Anonymous“.

Aus Sicht des Fachverbandes Medienabhängigkeit e.V. wurde hier eine gefährliche Verquickung von Spielen und Glücksspielen geschaffen. Gerade Spiele wie FIFA sprechen verstärkt ein jugendliches Publikum an, das auch – wie wir aus der Suchtforschung wissen – besonders empfänglich auf Reize wie Geldgewinne reagiert. Wir sehen es daher als unsere Pflicht an, die Öffentlichkeit über die neue Suchtgefahr zu informieren. Nach einer internen Ausarbeitung zu diesem Thema wird der Fachverband Medienabhängigkeit e.V. in Kürze konkrete Empfehlungen veröffentlichen.