Über das Bündnis:
Derzeit wird in der Praxis (Schule, Jugendamt, Klinik) ein deutlicher Anstieg problematischer Mediennutzung wahrgenommen, der manchmal auch im Zusammen
hang mit psychischen Störungen auftritt und auch Symptom einer anders gearteten psychiatrischen Störung sein kann. Bisher gängige Störungsmuster verändern sich dadurch zum Teil deutlich und neue Vorgehensweisen werden erforderlich. Eine problematische, teilweise suchtähnliche Mediennutzung schließt den Bereich des pathologischen Computerspielens ein, beschränkt sich jedoch nicht darauf.
Die Hintergründe einer suchtähnlichen Mediennutzung sind vielschichtig.
Die Symptome sind jedoch immer ähnlich. So kommt es häufig zu einer Abwendung von wichtigen Sozialisationsinstanzen wie Schule, Freunden (Peer Group) und Familie und zu einem allgemeinen sozialen Rückzug.
Die Betroffenen sind häufig auch von nahen Bezugspersonen, wie Eltern und Freunden, nicht mehr, oder nur noch sehr schwer zu erreichen. Problem-
verschärfend kommt in den letzten wenigen Jahren noch hinzu, dass mittlerweile auch Eltern übermäßiges Computernutzungsverhalten zeigen, so dass auch von Elternseite vor allem in Unterschichtfamilien zunehmend weniger bremsender Einfluß genommen wird.
Der schulische Werdegang und eine normale psychosoziale Entwicklung werden nicht selten durch eine derartige Abkapselung in hohem Maße gefährdet.
Komorbide (Begleit-)Störungen wie Sozialphobien, Angst- und depressive Störungen oder Störungen des Sozialverhaltens und der Emotionen, bis hin zu gefährlichen Phantasiebildungen sind keine Seltenheit. Die Nichterfüllung altersgemäßer Entwicklungsaufgaben mit Scheitern der Schullaufbahn und der Gefahr eines späteren psychosozialen Abrutschens mit den dazugehörigen Konsequenzen ist eine häufige Gefahr.
So präsent Begriffe wie Computerspielsucht, Massenonlinespiele, World of Warcraft, Egoshooter und Ähnliche derzeit sind, so gibt es doch noch keine einheitliche "rote Linie" und kein flächendeckendes Netz von Hilfsangeboten, an dem sich Betroffene, Angehörige oder Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen orientieren können. Auch sonst besteht viel Desorientierung und teilweise ideologisch geprägte Debatten, die über die tatsächlichen Störungsbilder oft hinweg gehen. Zwar ist das Problem bekannt, aber wie nun mit einem schulverweigernden Jugendlichen, der täglich 12 Stunden vor dem Computer verbringt und in zunehmendem Maße aggressiv auf Interventionsversuche reagiert umzugehen ist, und wer Hilfsangebote bieten kann, ist oft nicht klar.
Diesen Umstand möchte das „Bündnis Mediensucht Paderborn“ ändern.
Das Bündnis Mediensucht Paderborn besteht aus Vertretern aus den Bereichen Schule, Jugendhilfe, Beratungsstellen und Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Es ist an den deutschlandweit operierenden Fachverband Medienabhängigkeit e.V. angebunden und steht im Austausch mit führenden Wissenschaftlern und Fachkräften, die sich mit der Thematik der pathologischen Mediennutzung vorrangig beschäftigen.
Durch diesen Austausch ist gewährleistet, dass die Arbeitsgruppe stets auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Standards operiert. Das Bündnis umfasst das gesamte Spektrum möglicher Hilfsangebote bei einer patho-logischen Mediennutzung für den Raum Paderborn und bietet konkrete Handlungsmöglichkeiten, Informationen und Ansprechpartner an.
Mit dem Interventionsmodell Mediensucht haben wir ein strukturiertes, gestuftes Vorgehen konzipiert, mit Hilfe dessen Betroffene, Angehörige oder Lehrer bedarfsgerechten Zugang zu der jeweils passenden Hilfeform erhalten.
Die Angebote der verschiedenen, im Bündnis Mediensucht zusammengefassten Institutionen umfassen präventive Angebote (Aufklärung und Sensibilisierung von Eltern, Betroffenen, Jugendlichen und Fachkräften zum Thema patho-logische Mediennutzung), konkrete Beratungsangebote, bis hin zu Diagnostik und Therapie, ambulante- oder (teil)stationäre Behandlung in einer Kinder- und Jugend-psychiatrischen (Tages-)Klinik. Die einzelnen Bereiche (Prävention, Beratung, Therapie) und Fachrichtungen werden durch die Arbeitsgruppe miteinander verbunden und koordiniert.
In der ersten Stufe wird eine telefonische Beratung auf einfachem Niveau, auf der Basis eines Selbst- bzw. Fremdbeurteilungsbogens installiert, bei dem in der Art eines Screeningverfahrens Art und Ausmaß der Problematik anhand der gängigen Suchtkriterien nach ICD-10 quantifiziert werden und für den Ratsuchenden die Frage geklärt werden soll, ob es überhaupt Hinweise auf ein ernsthaftes (Sucht)Problem gibt. Für den Fall einer Positivfeststellung stehen allgemeine und spezielle Beratungsangebote zur Verfügung, die im Rahmen einer differenzierteren Problem-erfassung entweder abschließend beratend tätig werden können, oder aber bei vorliegenden/ sich verdichtenden Hinweisen auf eine klinisch relevante Medienabhängigkeit oder daneben bestehende weitere psychische Störungen an die dritte - klinische - Ebene, kinder- und jugendpsychiatrische ambulante, teilstationäre oder auch stationäre Diagnostik und Behandlung, weitervermitteln.
Durch dieses Vorgehen wird eine Art „Filtersystem“ etabliert, mit Hilfe dessen eine bessere Orientierung und Unterscheidung pathologischer versus nicht patho-logischer Mediennutzung sichergestellt werden soll.
Einerseits werden so ganz normale Kinder, die gerne mal Computer spielen, nicht unnötig pathologisiert, andererseits erhalten psychiatrisch oder suchterkrankte Jugendliche schnell und bedarfsgerecht Zugang zu den richtigen Hilfsangeboten, so dass sich mögliche Chronifizierungen gar nicht erst entwickeln müssen. Außerdem wird eine differenziertere Aufklärung der Bevölkerung zum Thema Medien-abhängigkeit initiiert, was helfen könnte, die heute oft eher ideologisch geführte Diskussion zu versachlichen.
Das Interventionskonzept ist zunächst auf die Beratungsangebote und den bestehenden Bedarf in dem Landkreis Paderborn ausgerichtet. Da das Vorgehen der Arbeitsgruppe jedoch recht standardisiert ist, ließe es sich ohne Weiteres auch auf andere Regionen übertragen. Dadurch könnte von diesem Projekt ein richtungweisender Impuls zur Gestaltung, Zusammenarbeit und zum Ausbau weiterer regionaler Versorgungsangebote ausgehen. Bestehende Versorgungsnetzwerke könnten so in Zukunft optimiert, und Versorgungslücken geschlossen werden.